Aktuell
Abkehr des BAG von der "ganz harten Linie" in den Anforderungen an klagende Beschäftigte
(BAG, Urt. vom 14.10.2020, 4 AZR 252/19)
Viele Urteile des BAG zu Eingruppierungsklagen - 'gefühlt' weit mehr als die Hälfte - scheitern aus Sicht der Beschäftigten nicht daran, dass das Gericht feststellt, ihnen stünde die begehrte Entgeltgruppe nicht zu. Sondern wegen der Feststellung "Diese Anforderungen hat der Kläger nicht belegt". Es bleibt also offen, ob diese oder jene Tätigkeit ein bestimmtes Tarifmerkmal wirklich erfüllt.
Dahinter verbarg sich eine sehr hohe Anforderung des Gerichts an die Kläger*innen: sie tragen die Darlegungs- und Beweislast. Das Bundesarbeitsgericht ist also nicht von Amts wegen gehalten, die Wahrheit selbst zu ermitteln. Sondern es muss lediglich den Vortrag der Kläger*innen beurteilen. Bereits an dieser formalen Hürde scheinen viele Prozesse (aus Sicht der Kläger*innen) zu scheitern, denn hier geht es nicht mehr nur darum vorzutragen, "was tue ich an meinem Arbeitsplatz" sondern darüber hinaus einen wertenden Vergleich zu den Tätigkeiten anderer, abstrakt bestimmter Tätigkeitsmerkmale vorzunehmen. Erfahrungsgemäß - auch für die Stellenbewerter*innen - ist gerade dies einer der schwierigsten Punkte vieler Stellenbewertungen.
Die sehr strenge Auslegung dieser Regel hat das BAG in einem wichtigen Teilbereich nunmehr zugunsten der Beschäftigten geändert:
"Haben die Tarifvertragsparteien die Anforderungen der Ausgangsentgeltgruppe durch die Verwendung eines feststehenden Berufsbilds oder mittels rechtlich geregelter Aus- oder Weiterbildungen bestimmt, genügt der Beschäftigte, der eine Vergütung nach einer höheren Entgeltgruppe geltend macht, deren zusätzliche tarifliche Anforderung sich erst anhand der „Normaltätigkeit“ der tariflich niedriger bewertenden Tätigkeit bestimmen lässt, seiner Darlegungslast, wenn er in einem ersten Schritt Tatsachen vorträgt, die den Schluss zulassen, dass seine Tätigkeit dem Tarifmerkmal der Ausgangsentgeltgruppe entspricht. Die Auslegung dieses Tätigkeitsmerkmals und damit die Bestimmung der „Normaltätigkeit“ ist hingegen Aufgabe des Gerichts. Dazu gehört auch die Feststellung, welche Einzelaufgaben Gegenstand der von den Tarifvertragsparteien genannten Ausbildung (...) oder des feststehenden Berufsbilds sind."
Die ältere, sehr viel umfassendere Darlegungslast der Beschäftigten wird aufgegeben:
"Soweit der Senat einen Vortrag des klagenden Beschäftigten verlangt hat, die Tätigkeit eines bestimmten Berufsbilds oder die Inhalte einer bundes- oder landesgesetzlich geregelten Ausbildung als solche darzulegen (...) , wird daran nicht mehr festgehalten."
In dem entschiedenen Fall (kurz kommentiert in unserem Blog) ging es um eine Erzieherin, der Rechtsgedanke ist jedoch auf alle Eingruppierungsklagen anzuwendbar.
Zum Nachlesen im Originaltext: Rechtsprechungsdatenbank des BAG